Transkipt der ersten Minuten:
P.B.: Herzlich willkommen, Nadja El-Kassar, beim „Kritisches Denken-Podcast“!
N.E.: Ja, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, hier zu sein.
P.B.: Ja, wunderbar, wir wollen heute über das Thema sprechen, im weitesten Sinne, Unwissen. Was ist Unwissen? Und im Endeffekt hast du auch erforscht gerade aktuell zu der Frage „Was ist ein sinnvoller Umgang mit Unwissen?“ Und vielleicht magst du erstmal damit anfangen, kurz zu umreißen, was du an dem Thema spannend findest, wie du dazu kamst und dann natürlich auch zu definieren – du bist Philosophin, da muss man erstmal die Begriffe definieren. Was ist denn überhaupt Unwissen?
N.E.: Ja, Unwissen, also das ist ein wirklich sehr sehr großer Begriff und man kann eigentlich schon damit anfangen, dass man fragt, ob Unwissen der richtige Begriff ist oder Nichtwissen der richtige Begriff ist, aber dazu sage ich gleich was. Das Thema hat mich schon lange beschäftigt und der Anlass dazu auch zu arbeiten war ehrlicherweise, dass mein eigenes Unwissen über die Finanzkrise und mein Unverstehen, mein Unverständnis, von der Finanzkrise und ich habe dann einfach gemerkt: ich verstehe einfach nicht, was da passiert, ich kann die Zusammenhänge nicht verstehen. Ich kann auch nicht bewerten, welche Entscheidungen von Politikern sinnvoll sind oder nicht, welche Meinung sinnvoll ist, welche nicht und habe dann versucht mich damit zu beschäftigen und habe aber einfach dazu keinen Zugang gefunden und das hatte Auswirkungen für mein Verständnis als Bürgerin, weil ich gedacht habe, wenn ich wähle, wenn ich abstimme über politische Entscheidungen und politische Richtungen, dann muss ich doch Bescheid wissen darüber, was die Leute machen. Bin ich dann jetzt keine gute Bürgerin mehr, wenn ich unwissend bin? Das sollte natürlich nicht dabei rauskommen, also ich wollte nicht mir selbst die Bürgerschaft und die Mitbeteiligung entziehen und habe deswegen gedacht: „Man muss doch irgendwie einen guten Trick finden können, mit dem man einen guten Umgang mit Unwissen hat, wo man auch unwissend sein kann.“ Und für Philosophen ist das ja auch noch ein zusätzliches großes Thema, weil Aristoteles schon in der Metaphysik ganz am Anfang schreibt, dass der Mensch nach Wissen strebt von der Natur her, das gehört einfach zum Menschen dazu. Und das heißt, wenn man am Ende dabei rauskommt, dass man sagt: „Ja, aber es gibt auch die Fälle, wo man unwissend oder nichtwissend bleiben darf und das in Ordnung ist“, dann muss man da ganz viel begründen und ganz viel sagen, weil der Mensch ja von Natur aus nach Wissen strebt. Und deswegen war das ein sehr gutes Thema in der Philosophie und für mich sehr spannendes Thema. Im Englischen ist das viel einfacher, weil wir da nur den Ausdruck „ignorance“ haben, der alle Nuancen mit auffasst und enthält, sowohl das Negative als auch das Positive. Und im Deutschen können wir Nichtwissen und Unwissen unterscheiden und eine Linguistin hat mir das auch nochmal erläutert, weil ich lieber von Unwissen spreche und möchte, dass das neutral gemeint ist, und sie hat mir aber erläutert, dass das von der Semantik nicht sinnvoll ist oder nicht so geht, weil die Vorsilbe „Un-„ immer etwas Negatives konnotiert. Also ein Unwetter, ein Unglück, also das ist einfach negativ, das heißt, ich müsste eigentlich von Nichtwissen sprechen.
P.B.: Ja.
N.E.: Ich finde aber, dass der Ausdruck „Nichtwissen“ sehr gestellt klingt, also das ist auch viel natürlicher, wenn ich jetzt sage: „Ich arbeite zu Unwissen“, und dann sage ich: „Das kann positiv und das kann negativ sein“, auch wenn das vom Wortgebrauch so und so konnotiert ist und historisch kann man das auch noch ein bisschen herleiten, dass man sagt: „Ja, wenn Kant über Unwissenheit spricht, dann spricht er ja nicht von Nichtwissen, sondern von Unwissenheit.“ Oder wir sagen „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!“ Das nur, aber da hat man so viel, allein linguistisch kann man da schon bei diesem Begriff ganz viel arbeiten und dann philosophisch in den Unterscheidungen noch viel mehr Details aufnehmen.