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Episode 68 – Empörungsökonomie #Prof. Christian Fichter

Im Gespräch mit dem Wirtschaftspsychologen Prof. Christian Fichter über die Empörungsökonomie und wie sich die zugrunde liegende Psychologie auf unser Verhalten und das Miteinander auswirkt.

Details zur Episode

3 Kommentare

  1. Nils Nils

    Vielen Dank für die interessante Folge. Einige kritische Anmerkungen sind aus meiner Sicht jedoch notwendig.

    Bitte aufpassen, was für Begriffe in welchem Kontext benutzt werden. „Zensur“ meint in erster Linie den systematischen Eingriff von behördlichen Stellen – es ist also nicht unproblematisch, von Zensur zu sprechen, wenn man darüber redet, ob eine Plattform wie Facebook irgendwelche wie auch immer gearteten Inhalte löscht oder nicht zulässt. Gleicher Hinweis zur „Meinungsfreiheit“ – bei dieser handelt es sich um ein Abwehrrecht oder Schutzrecht gegen den Staat. Den Begriff zu nutzen, wenn es darum geht, dass in bestimmten Räumen oder Gruppen etc. etwas nicht geäußert werden darf – vermeintlich – ist verzerrend bis falsch. Die Abschnitte der Folge, in denen darüber – entschuldigt die Polemik – phantasiert wird, man werde „exkommuniziert“, wenn man irgendwelche vermeintlich abweichenden Haltungen vertrete, sind, darin anschließend, schwammig und unpassend. Ohne Rückgriff auf Empirie wird Bedenkenträgerei und Spekulation betrieben, was wohl besser in einer Glosse aufgehoben ist als in einem Podcast, der kritisches Denken fördern soll.

    Was zur nächsten Anmerkung überleitet: den völlig unkritischen Gebrauch des rechten Kampfbegriffs „Cancel Culture“. Die Studienlage hierzu ist noch dünn, der ubiquitäre Gebrauch trägt zur Aufklärung nichts bei. Es ist derzeit noch unklar, was der Begriff genau bezeichnen soll und ob dieses Phänomen empirisch belegbar ist. Dass es in der Folge von Prof. Erb zum einen unwidersprochen als Faktum gesetzt werden kann, wird dem wissenschaftlichen Anspruch des Formats nicht gerecht, was schade ist, da die Folge ein guter Anlass gewesen wäre, hier sachlicher zu bleiben. Dies gilt auch für den Abschnitt zur gendergerechten Sprache, der zwar wichtige Kritik transportierte, aber arg einseitig blieb, da zuletzt suggeriert wurde, Sprache präge quasi gar nicht unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, weil ins andere Extrem tendierende Hypothesen falsifiziert sind – was meines Wissens nach weder den linguistischen noch den soziologischen Forschungsstand abbildet.

    Generell erschiene es geboten, das Format in zukünftigen Folgen auch mal einer soziologischen Perspektive auszusetzen, damit die Verwobenheit von Wissen, Wertung, Meinung und anderen Kategorien sowie die soziale Angebundenheit von immer wieder auch im Podcast diskutierten Sachverhalten besser verstanden werden kann.

    • Lieber Nils

      Vielen Dank für Deinen Kommentar zu unserer Folge über die Empörungsökonomie. Und Danke auch, dass Dein Feedback konstruktiv ist und sich nicht in einem empörten Shitstorm äussert.
      Deine Hinweise sind auf jeden Fall sehr hilfreich und Du hast sicher mit vielem Recht, was Du schreibst. Ich spreche mal nur für mich: Klar ist, dass mir auf jeden Fall der soziologische Background fehlt. Ich betrachte alles durch meine „Naturwissenschaftler-Brille“. Was nicht bedeutet, dass ich andere Bereiche nicht auch sehr interessant finde. Im Gegenteil: Gerade für das kritische Denken sind die anderen Perspektiven ungemein wichtig. Und gerade, was die „Begriffe“ aus anderen Fachbereichen betrifft, bleibt es nicht aus, dass wir diese oft falsch oder zumindest nicht ganz richtig verwenden.
      Unser Anspruch mit diesem Podcast ist aber auch nicht, alles immer richtig zu machen. Auch wieder im Gegenteil: Wir irren uns empor! Daher sind Hinweise und Kommentare wie Deiner auch sehr wichtig für uns. Das regt zum nochmal darüber nachdenken und überdenken an. So soll es ja auch sein. Gerade mit dem Begriff „Cancel culture“ werde ich mich künftig nochmal intensiv auseinadersetzen (müssen). Er taucht in der Hochschullandschaft vermehrt auf und da ist eine klare Begriffsklärung sicher hilfreich. Hast Du da vielleicht sogar einen Literaturtipp?
      Auch die Frage nach der Wechselbeziehung von Sprache und Wahrnehmung ist sehr interessant. Ich habe einiges zur Saphir-Worff Hypothese gelesen und auch ein paar Sachen von Noam Chomsky. Aber ich bin kein Linguist und freue mich daher auch über Hinweise und Korrekturen 🙂 Das Thema wird sicher mal wieder den Weg in unseren Podcast finden.

      Also unterm Strich nochnmal: Vielen Dank für das wertvolle, weil kritische Feedback. Das schätzen wir sehr.

      Philip

  2. Nils Nils

    Hallo Philip,

    vielen Dank für die Antwort. An Empörung und öffentlicher Geißelung Dritter habe ich wenig Interesse, insofern versuche ich mal, ein paar Hinweise zu geben (ohne selbst Experte in den entsprechenden Forschungsständen zu sein).

    Cancel Culture: Hierzu gab es 2020 eine erste empirische Studie, die allerdings viel Kritik evozierte und letztlich wohl nur als ein möglicher Ausgangspunkt und Debattenanstoß gesehen werden kann.

    Teil 1: https://blog.soziologie.de/2021/06/debattenbeitrag-bedrohte-meinungsvielfalt-an-deutschen-universitaeten-impulse-fuer-eine-pluralistische-fachdebatte/

    Teil 2: https://blog.soziologie.de/2021/07/bedrohte-meinungsvielfalt-an-deutschen-universitaeten-impulse-fuer-eine-pluralistische-fachdebatte/

    Inwiefern daraus neue Studien entstanden, müsste man genauer prüfen, mir sind aber bislang keine zur Kenntnis gelangt.

    Eine recht frische Publikation hat der Literaturwissenschaftler Adrian Daub vorgelegt. Sein Stil ist eher essayistisch, die Annäherungsform ist aber durchaus als fundierter, diskursanalytischer Beitrag zu sehen und empirisch von Interesse.

    Buch: https://www.suhrkamp.de/buch/adrian-daub-cancel-culture-transfer-t-9783518127940

    Radiogespräch: https://www.swr.de/swr2/literatur/analyse-eines-imaginierten-wahns-100.html

    Zur Studienlage Linguistik/Sprachpsychologie hatte ich zuletzt etwas vom Informationswissenschaftler Hans W. Giessen gehört. Hieraus hatte ich in Erinnerung, dass zwar altbekannte Hypothesen durchaus verworfen werden können, es aber keinesfalls so ist, dass Sprache ohne Wirkung auf unser Denken bleibt,

    https://www.swr.de/swr2/wissen/framing-so-veraendert-sprache-unser-denken-100.html

    In der Soziologie schaut man hier meist empirisch auf Korrelationen zwischen konkreten Ungleichheitsverhältnissen und Sprachgebrauch (z. B. Prewitt-Freilino/ Caswell/ Laakso (2012) ). All dies ist natürlich ein komplexes Geflecht aus erkenntnistheoretischen Positionen und empirischen Ansatzpunkten. Meine Erwartung wäre niemals, hier alles sach- und fachgerecht besprechen zu können. In der vorliegenden Folge schien mir aber eine zu große Einigkeit der Teilnehmer auf wackeliger Basis zu bestehen, sodass zumindest ein Hinweis auf potenzielle Unsicherheiten gut gewesen wäre.

    Dass man am Ende bestimmte Positionen trotzdem einnehmen kann und nicht jede Studie gut gemacht ist – darüber dürfte Konsens bestehen. 🙂

    Viele Grüße,
    Nils

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