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Episode 70 – Willensfreiheit vs. Determinismus

In dieser Episode sprechen Andreas und Philip über das Thema Willensfreiheit und Determinismus aus der Sicht eines Psychologen und eines (Bio-)Physikers.

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7 Kommentare

  1. Paul K Paul K

    Obwohl noch nicht ganz zu Ende gehört, finde ich die Folge jetzt schon sensationell. Es tut auch so gut, so viele Gedanken von Euch zu hören, durch die ich mich selbst auch „gequält“ habe… mit Faszination. Ein Seminar zu ‚Freier Wille‘ im Psychologiestudium hat mich vor etwa 15 Jahren im Thema „gefangen‘ genommen. Schließlich ist es nicht nur für die Psychologie eine Gretchenfrage, ob bzw. wie szs. frei der Wille ist (die Serie ‚Devs‘ spielt damit in beeindruckender Weise). In der Wahl bzw. mit dem Wahlprozess werfen sich bis dato meines Erachtens die entscheidenden Fragen auf. Die häufiger genannte Phrase ‚Man kann nicht wollen, was man will.‘ [siehe auch Harry Frankfurt] erscheint mir als Holzweg in der Freier Wille-Debatte. So richtig es wohl ist, dass vieles was wir evolutiv bedingt wollen sich nicht um-wollen lässt, folgt daraus keine Antwort auf die Frage nach Wahlmöglichkeiten bzw. dem Wahlprozess. Dem Libet-Experiment(en), dem nach meinem Dafürhalten keine Aussage hinsichtlich freier Wahl zuerkannt werden kann, birgt nichtsdestotrotz die sehr interessante Operationalisierung eine einfachsten Entscheidungssituation. Nämlich, etwas entweder zu tun oder nicht. Diese Entscheidungssituation findet alltäglich in x Variationen statt. Etwa in der Form, ob auf Basis der bestehenden Information gehandelt wird [‚tun‘] oder weitere Information bzw. Kriterien gesucht werden. Hierbei finde ich die spannende Frage, was genau denn letztlich entscheidend ursächlich für eine Entscheidung ist ‚tun‘ oder weiter Information suchen bzw. verarbeiten. Um nicht zu weit auszuschweifen, Quale, Empfindungen, bzw. subjektiv phänomenales (Selbst)Erleben realisiert sich zumindest denkbar im physikalischen System bzw. im selbigen deterministischen. Letztlich ist die Wahl immer eine (gewissermaßen) kriteriale Wahl, es ist nur die Frage, was das ultimative Kriterium ist, das letztlich den „Schalter“ umlegt – physikalische, informationelle, beides korrelierendermaßen, anderes – auch Quale bzw. quale-einbezügliche Gedächtniseinträge? Quasi finden kriteriale Wahlprozesse in deterministische Systemen per se statt (szs. angefangen bei einfachsten if-then-Mechanismen). Aber welche Rolle spielen qualitatives Empfinden & Erleben und informationelle bzw. semantische Inhalte bzw. Gehalte. Ganz alltäglicher Weise sind es anscheinend oft Lust und Unlust oder verschiedenen Affekte oder Stimmungen, die Wahlen erheblich oder entscheidend bestimmen. Darin mache ich den Unterschied zu technischen Systemen aus – sie können (noch?) nicht Erleben als Wahl- und Entscheidungskriterium einbeziehen (allenfalls simulierter Weise vielleicht). Wahl ist immer eine, die einem Kriterium (Ursache) folgt, es ist eine entscheidende Frage welchem. Berücksichtigen lässt sich auch, dass bestimmte Wahlprozesse eher oder ganz unbewusst erfolgen. Gedächtniskonsolidierungen bergen auch qualitatives Erleben oder dahingehende Information. Ich hoffe, dass ich nicht zu sehr Redundantes „gesplaint“ habe. Gegen Ende des Kommentars ließ meine Konzentration nach. Hoffe Ihr macht weiter so. (Sabine Hossenfelder hat sich in ihrem Blog auch mal zum Thema geäußert, durchaus interessant, was sie schreibt und diskutiert.. Vielleicht interessant für Euch? http://backreaction.blogspot.com/2016/01/free-will-is-dead-lets-bury-it.html ) Viele Grüße Paul K.

    • Lieber Paul,

      Vielen Dank für Deinen Kommentar und Dein Feedback. Auch für den Hinweis auf den Blog von Sabine Hossenfelder. Kannte ich noch nicht, werde ich mir aber sicher durchlesen (inkl. der über 80 Kommentare) 🙂

      Liebe Grüße
      Philip

      • Paul K. Paul K.

        Lieber Philip,

        auch vielen Dank für Deine Antwort. Inzwischen bin ich mit der Folge durch. Apropos Sabine Hossenfelder & Quantenzufall, an diesem „rüttelt“ sie mit dem sog. ‚Superdeterminismus‘. Aber vermutlich ist Dir/Euch das längst bekannt… oder vielleicht auch nicht. Dieser findet anscheinend unter Physikern nicht so viele Freunde. Wie auch immer. Hier mal Links (‚free will‘ kommt auch zur Sprache!):
        https://nautil.us/how-to-make-sense-of-quantum-physics-237736/
        https://backreaction.blogspot.com/2021/12/does-superdeterminism-save-quantum.html

        Gegen Ende war auch ‚predictive modelling [coding]‘ ein Punkt (von Dir, Philip, glaube angesprochen, ich weiß nicht mehr). Jedenfalls habe ich ‚predictive coding‘ oder ‚prädiktive Kodierung‘ seit einer Zeit auf dem Schirm (als Psychologe). Die Theorie ist mittlerweile auch in der populärwissenschaftlichen Berichterstattung präsent geworden (z. B. hier https://www.spektrum.de/magazin/wie-preditive-coding-unser-verstaendnis-der-schizophrenie-veraendert/1667074), was mir aber auch etwas Stirnrunzeln bereitet, weil es bis dato eher nur reine Theorie ist und womöglich zu sehr gehypt werden könnte. Was die theoretischen Vorstellungen und Inhalte der Theorie sehr attraktiv macht, ist, dass sie ausgesprochen gut in manche Theorie und zu mancher Evidenz passt (Stichwort: Halluzinationen [als Versagen einer Fehlerrückmeldung]; Projektionen verschiedener Art; das Überlesen von Rechtschreibfehlern, (Un)Attentional Blindness; kurz Fehlwahrnehmungen bezüglich aller Sinneskanäle, möglicherweise auch einhergehend mit Affekt, der insofern unnötig wäre, wenn er durch Fehlwahrnehmung zustande käme, uvm.). Das sind aber alles nur theoretische Überlegungen. Ich denke aber, dass für ‚predictive coding‘ die neuronalen Korrelate bzw. die physiologische Funktionalität maßgeblich sind oder sein sollten. Die theoretischen Vorstellungen entlehnen sich wohl aus predictive coding im IT-Bereich. Soweit ich es verstanden habe, sind Fehlerrückmeldungen eher (u. a.) als Orientierungs- bzw. Aufmerksamkeitstrigger zu verstehen, was ja auch Schlüsselrollen für das Bewusstsein bedeuten kann. Die zwei genannte Artikel in der Folge, kannte ich (noch) nicht. Aber wenn Thomas Metzinger dazu geschrieben hat, lese ich seinen Artikel auf jeden Fall! Ihn verfolge ich auch seit über 10 Jahren

        Hier noch ein Online-Lexikon, das für eine erste Orientierung durchaus manchmal mehr zu bieten hat als Wikipedia: https://lexikon.stangl.eu/25321/predictive-coding-theorie)

        Ich bin immer noch am verdauen der Folge, was mir als Rekapitulation der enorm schwierigen Thematik sehr zusagt. Durch aus möglich, dass ich noch einen weiteren Kommentar zur Folge schreibe.

        Vielen Dank & lassts Euch gut gehen!

        Liebe Grüße

        Paul K.

        • Lieber Paul

          Nochmals vielen Dank für die neuerlichen Denkanregungen. Das klingt sehr spannend.
          Lustigerweise haben wir unser nächstes Gespräch bereits für den morgigen Tag geplant. Dies mit Prof. Schlicht, einem Philosphen, der die Entwicklungen des Predictive Processing (auch kritisch) beobachtet. Das wird sicher sehr spannend.

          Liebe Grüsse
          Philip

          • Pau K. Pau K.

            Wie cool ist das denn, Ihr besprecht es morgen!. Gutes Gelingen & Liebe Grüße
            Paul K.

  2. Die Folge war sehr interessant und inhaltsreich. Vielen Dank dafür. Ich möchte noch ergänzen, dass sich der Begriff der absoluten Willensfreiheit gar nicht erläutern lässt, denn es bräuchte dafür etwas Drittes zwischen Zufall und Determiniertheit, das aber nicht bekannt ist.

    Ich habe in meinem Artikel https://feodor.de/node/15.html dazu 2 einschlägige Zitate von Godehard Brüntrup und Thomas Nagel präsentiert. Beide Autoren sind keine Naturalisten, was relevant ist, denn im antinatualistischen Umfeld wird das Konzept der absoluten Willensfreiheit traditionell besonders häufig vertreten.

    Es scheint mir auch so zu sein, dass der Zufallseinwand selbst bei den fortgeschrittensten libertarischen Theorien (R.Kane & G.Keil) immer noch nicht entkräftet ist. Siehe dazu auch meinen Beitrag, den ich hier zitiere, um mich nicht zu wiederholen. (Ich selbst halte es im Übrigen für plausibel, dass es echten Quantenzufall in unserer Welt gibt. Über den Mechanismus des deterministischen Chaos wirkt sich dieser nach einer Weile auch im Mesokosmos aus. Zufall hilft aber nicht, wie es in der Folge auch dargelegt wurde.)

  3. Walter Eckland Walter Eckland

    Danke für die anregende Diskussion. Da sie Kritik und Hinweise begrüssen, möchte ich hier etwas ausführlicher auf die Diskussion eingehen. Dabei gehe ich von der Voraussetzung aus, dass es um eine Untersuchung im Rahmen der Wissenschaften geht.

    Zu Beginn wurde gesagt, wie wichtig eine exakte Definition des Terms ‚Willensfreiheit‘ ist. Allerdings wurde dann keine Definition, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, eingeführt. So wie der ursprünglich diffuse Begriff ‚Energie‘ in der Physik eine exakte Definition erfuhr und damit fundamentale Einsichten in die Naturwissenschaften ermöglichte, so muss auch dieser umgangssprachliche Term zuerst exakt geklärt werden. Man nennt das in der Wissenschaftstheorie (Philosophy of Science) eine Begriffsexplikation. 

    Analysiert man den umgangssprachlichen Begriff ‚Willensfreiheit‘, so kommt man vermutlich auf mehrere unterschiedliche Definitionen. Damit die Definition sinnvoll ist, muss – wenigstens prinzipiell – ein Experiment existieren, das die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen positiv oder negativ entscheidet. 

    Das Gehirn ist ein System, das Entscheidungen unter mögliche Aktionen (im weitesten Sinne) trifft. Damit liegt die Definition nahe: Willensfreiheit liegt vor, wenn man nicht mit Sicherheit aus vergangen Aktionen eines Menschen auf seine zukünftige Aktionen schliessen kann. Diese Definition aus der Sicht eines externen Beobachters, nenne wir sie Willensfreiheit Ext, dürfte wohl eher für die Willensfreiheit des Menschen sprechen. Anders sieht die Situation aus, wenn wir einen ‚internen Beobachter‘ postulieren: Kann anhand des Zustandes des Systems Gehirn eine anstehende Aktion vorausgesagt werden oder nicht? Nennen wir diese Definition Willensfreiheit Int. Hier müsste man empirisch überprüfen, ob der Zustand des Gehirns genau erfasst werden kann oder ob quantenphysikalische Effekte dies verhindern. Ferner muss untersucht werden, ob die kosmische Strahlung eine Rolle spielt, ob elektromagnetische Wellen und die Gravitation einen Einfluss ausüben usw. Sind ev. viele komplexe, nichtlineare Prozesse beteiligt, die eine exakte Berechnung verhindern? Würden Experimente die Fragen negativ beantworten, könnte man also im Prinzip die Aktion vorhersagen, so wäre gemäss dieser Definition kein freier Wille gegeben. 

    Ich meine, dass das Problem ‚Willensfreiheit‘ ein typisches Pseudo-Problem (Wiener Kreis) ist, ähnlich wie Diskussionen um die Begriffe ‚Bewusstsein‘, ‚Leib-Seele-Problem‘, ‚Verstehen von Sachverhalten‘ (z.B. Chinese Room Argument) usw. Alle kranken daran, dass nicht eine Explikation der Begriffe am Anfang der Diskussion steht. Derartige Diskussionen mögen einen emotionalen Inhalt haben, Wissenschaft sind sie nicht.

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